Wie in Israel offen für Vergewaltigung gestritten wird
Seit zwei Wochen wird in Israel offen darüber gestritten und dafür geworben, dass gefangene Palästinenser systematisch vergewaltigt werden sollen. Über eine unmenschliche Debatte
Am 29. Juli nahm die israelische Militärpolizei mehrere IDF-Soldaten im Gefängnis Sde Teiman fest. Die israelische NGO B’Tselem beschreibt das Gefängnis als Teil eines israelischen Systems aus Folterlagern.1 Nach monatelangen Berichten über Folter und Vergewaltigungen an Gefangenen sah sich die israelische Regierung gezwungen eine Untersuchung gegen mehrere Soldaten aufzunehmen.
Der Mob
Die Nachricht über die Festnahme mehrerer IDF-Soldaten verbreitete sich wie ein Lauffäuer unter israelischen Rechten und Rechtsextremen. Daraufhin stürmte ein Mob an dem auch Mitglieder des Knesset teilgenommen haben, das Gefängnis mit dem Versuch die Festgenommenen zu befreien. Videoaufnahmen gingen um die Welt. Auch Itamar Ben-Gvir der rechtsextreme Minister für nationale Sicherheit stachelte zu den Protesten auf.2
Der Minister
Es ist nicht das erste Mal, das Itamar Ben-Gvir im Kontext der israelischen Gefängnissen mit grausamen Äußerungen auffällt. Im Frühjahr forderte Ben-Gvir die “Todesstrafe für Terroristen”, als Lösung um mehr Platz in den Gefängnissen zu schaffen.3 Ende Juni legte er mit der Forderung nach, gefangene Palästinenser einfach hinzurichten, um Platz in den Lagern zu schaffen.
Gefangene sollten in den Kopf geschossen werden und kein Essen erhalten 4
Die deutsche Bundesregierung bewertete diese Aussage auf Nachfrage in der Bundespressekonferenz als “eine abscheuliche Einlassung, die wir verurteilen.” Aus der Aussage des israelischen Ministers wollte die deutsche Bundesregierung jedoch keine Konsequenzen über das “thematisieren in Gesprächen” hinaus ableiten.5
Das Parlament
Am 29. Juli fand parallel zu den Festnahmen und dem Mob, der das Gefängnis stürmte, eine Debatte im Knesset, dem israelischen Parlament statt. Der arabische Abgeordnete Ahmad Tibi fragte in eimen Zwischenruf aufgebracht, ob es legitim sein könne “jemanden einen Stock in das Rektum einzuführen”.6 Der Abgeordnete Hanoch Milwidsky schrie ins einer Antwort:
Wenn er ein Nukhba [Terrorist] ist, ist Alles erlaubt! Alles! 7
Milwidsky ist Mitglied der Likud Partei von Premierminister Netanyahu. Vor dem Zwischenruf forderte Milwidsky, den “Wahnsinn um diese Geschichte” zu beenden. Alle Abgeordneten der Regierungskoalition sollten das Parlament verlassen, bis die Staatsanwaltschaft aufhört gegen Soldaten wegen der Misshandlung von “Terroristen” zu ermitteln, so die Forderung Milwidskys.
Dabei scheinen für Milwidsky und Ben-Gvir grundsätzlich alle gefangenen Palästinenser “Terroristen” zu sein. Die Gefangenen in Sde Teiman und zahlreichen anderen Gefängnissen werden in sogenannter “Administrativhaft” gehalten. Die israelische Praxis besteht darin, Palästinenser aus den besetzten Gebieten festzunehmen, ohne Anklage, ohne Recht auf juristischen Beistand und häufig ohne überhaupt die Vorwürfe gegen sie zu kennen.8
Der Journalist
Am 07. August trat der Journalist Yehuda Schlesinger in einer Talkshow im Channel 12 des israelischen Fernsehens auf.9
Das einzige Problem für mich ist, dass es keine offizielle Richtlinie ist [Gefangene zu vergewaltigen]. Erstens verdienen sie es, und es ist die Rache, die wir ihnen geben müssen. Zweitens nützt es uns vielleicht als Abschreckung. Es ist eine Schande, dass wir es nicht in einer institutionalisierten Weise als Teil einer regulierten Folter von Gefangenen tun.
Von dieser wahnwitzigen Aussage ruderte er am nächsten Tag in einem Radiointerview zurück. Er habe die berechtigte Kritik erhalten, dass es falsch sei kriminelle Handlungen zu legitmieren.10
Schlesinger tritt nicht zum ersten Mal als menschenverachtender Agitator im Fernsehen auf. Im April etwa forderte er einen “harten und schmerzvollen Tod” für Palästinenser in Gaza, mit der Aussage es gäbe keine unschuldigen Menschen in Gaza. Dies war die Reaktion auf Videoaufnahmen von Menschen, die in Gaza am Strand zu sehen waren.11 Im Grundtenor der öffentlichen Debatte in Israel führten seine damaligen Äußerungen nicht zu Konsequenzen, etwa dem Ausschluss aus der Talkrunde.
Der beschuldigte Soldat
Der bisherige Höhepunkt der unmenschlichen Debatte wurde ebenfalls am 07. August erreicht. Nachdem das Video der Vergewaltigung an Channel 12 geleakt und dort gezeigt wurde,12 lud der rechtsextreme Channel 14 einen der beschuldigten Soldaten ein.13 Mit Sturmhaube maskiert und in olivgrüner Kleidung erklärte er die IDF sei die “gesündeste Armee” und beschuldigte die Journalisten, die das Video veröffentlichten den guten Namen der IDF zu besudeln. Auf die Frage, wie er zu den “Demonstrierenden, die ihn und die Soldaten beschützen wollten” stehe, dankte er ihnen dafür, dass sie sich erhoben haben und sagte die Rechten wissen, wann man sich erheben müsse. Die Israelis wissen wann man sich erheben müsse.
Auch der rechtsextreme Finanzminister Bezalel Smotrich forderte eine strafrechtliche Untersuchung, jedoch gegen den Leak des Videos von der Vergewaltigung.14 Für die Täter sollte es nach Smotrich ebenfalls Straffreiheit geben.
Der Widerspruch
Die Position der Rechten und Rechtsextremen in Israel reicht von offener Unterstützung der barbarischen Folter und Misshandlung von Gefangenen bis zur grundsätzlichen Straffreiheit und Ignorieren solcher Verbrechen an Palästinensern. Dabei ist das Ignorieren solcher Verbrechen auch in der breiten Bevölkerung anschlussfähig, wie die bisher gelebte Praxis zeigt.
Doch es gibt auch Widerspruch. An erster Stelle ist die israelische Menschenrechtsorganisation B’Tselem zu nennen. Mit ihrem “Welcome to Hell” Bericht15 arbeitete B’Tselem die jüngsten Entwicklungen im israelischen Gefängnissystem auf. Die Aufklärung über Misshandlung von Gefangenen ist seit über zwei Jahrzehnten eines der Kernthemen der Organisation. In Israel wird die Arbeit von B’Tselem und andere Berichte, etwa der UN außerhalb linker politischer Kreise weitestgehend ignoriert, wie Gideon Levy in Haaretz ausführt. Levy kritisiert in der Debatte auch, dass selbst Guy Peleg, der das Video der Vergewaltigung veröffentlichte, das Opfer weiter pauschal als Terroristen bezeichnet.16
Bei Protesten für die Freilassung der beschuldigten Soldaten am 31. Juli vor dem Militärgericht Beit Lid, wo die Beschuldigten verhört wurden, gabe es eine sehr kleine Zahl von Gegendemonstranten. Die Gegendemonstranten forderten die Bewahrung des Rechtstaates, sind aus Sicht des Reporters von “Times of Israel” jedoch “left-wing activists” und “anti-government”.
Der israelische Präsident Isaac Herzog kritisierte zwar die Unruhen vor dem Gefängnis, forderte aber eine Untersuchung der Festnahmen. Die Ermittlungen gegen die Soldaten seien jedoch weiterhin notwendig. Zur Frage der Moral seiner Armee sagte er17
Die Moral der IDF war schon immer unser Stolz, intern, wie in der Familie der Nationen und unter internationalem Recht. Unsere Moral ist ständig herausgfeordert durch die vielen Feinde in der ganzen Welt, die versuchen uns zu schaden, auch durch das internationale Recht: Durch die Verfolgung unserer Offiziere, Truppen und gewählten Volksvertreter. Daher müssen wir moralisch und vernünftig handeln.
Über die Menschenrechte der Opfer von Folter und Misshandlungen in israelischen Gefängnissen hört man aus der Mitte der israelischen Politik dagegen wenig. Herzog führte von 2013 bis zur Wahl zum Präsidenten 2021 die mitte-links Opposition gegen Premierminister Netanyahu.
Und so schließt auch der politische Analyst Ori Goldberg gegenüber Al-Jazeera über diese Debatte18
Oh, es geht überhaupt nicht um die Opfer. Es geht ausschließlich um Israel
https://edition.cnn.com/2024/05/10/middleeast/israel-sde-teiman-detention-whistleblowers-intl-cmd/index.html
https://www.btselem.org/sites/default/files/publications/202408_welcome_to_hell_summary_eng.pdf
https://www.972mag.com/sde-teiman-beit-lid-protests-detainees/
https://taz.de/Gefangenenlager-in-Israel/!6026443/
https://www.middleeasteye.net/news/israel-itamar-ben-gvir-calls-execution-palestinans-ease-overcrowding-prisons
https://www.middleeastmonitor.com/20240701-ben-gvir-calls-for-executing-palestinian-prisoners/
https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/regierungspressekonferenz-vom-1-juli-2024-2295078
https://www.aljazeera.com/news/2024/8/9/everything-is-legitimate-israeli-leaders-defend-soldiers-accused-of-rape
https://www.youtube.com/watch?v=nFLiWDMoYy8
https://www.ohchr.org/en/press-releases/2020/10/un-expert-calls-israel-end-practice-administrative-detention-and-immediately
https://www.amnesty.org/en/latest/news/2024/07/israel-must-end-mass-incommunicado-detention-and-torture-of-palestinians-from-gaza/
https://www.rnd.de/politik/wie-israel-tausende-palaestinenser-ohne-anklage-einsperrt-KY7VNQPGTRADLLGW3I3ACLPCGI.html
aa.com.tr/en/middle-east/israeli-journalist-urges-rape-to-become-state-policy-for-palestinian-prisoners/3299001
https://www.timesofisrael.com/israeli-journalist-retracts-call-for-policy-of-sodomizing-palestinian-terror-suspects/
https://www.youtube.com/watch?v=_NAhjWphqt4
https://www.youtube.com/watch?v=qmjGdzyj5BA
https://www.youtube.com/watch?v=8viWxYiinPk
https://www.youtube.com/watch?v=q2viktkqdIw
https://edition.cnn.com/2024/08/07/middleeast/us-israel-sexual-abuse-palestinian-detainees-intl-latam/index.html
https://www.btselem.org/publications/202408_welcome_to_hell
https://www.haaretz.com/opinion/2024-08-08/ty-article-opinion/.premium/welcome-to-hell-btselems-ignored-abuse-report-shows-israels-true-face/00000191-2dc1-d1b4-a399-7de77ec70000
https://archive.is/7S1ES
https://www.timesofisrael.com/as-protesters-back-troops-accused-of-abuse-a-debate-erupts-on-military-morality-in-war/
https://archive.is/b2r9z
https://www.aljazeera.com/news/2024/8/9/everything-is-legitimate-israeli-leaders-defend-soldiers-accused-of-rape